Rooted Memories
Texte der Ausstellungstafeln „Rooted Memories. Erinnern mit Holz vom Jüdischen Friedhof“, Felix Votteler
Der Jüdische Friedhof in Wankheim
Der Jüdische Friedhof in Wankheim, Gemeinde Kusterdingen, ist einer der wichtigsten erinnerungskulturellen Orte im Landkreis Tübingen. Er erinnert an die Familien der ehemaligen jüdischen Gemeinde in Tübingen und deren Kultur. Er entstand Ende des 18. Jahrhunderts als Bestattungsplatz für jüdische Familien, die der Ortsherr in seinem ritterschaftlichen Dorf Wankheim siedeln ließ. Als seit Mitte des 19. Jahrhunderts viele jüdische Familien in die Städte abwanderten und sich eine jüdische Gemeinde in Tübingen bildete, übernahm diese den Friedhof und nutzte ihn weiter.
Der Friedhof stellt unter anderem die anderthalb Jahrhunderte bestehende Verwurzelung Tübinger und Reutlinger Jüdinnen und Juden im Heimatraum dar. Auf ihm fehlen die Grabsteine jener Jüdinnen und Juden, die von der hiesigen jüdischen Gemeinde deportiert, unter anderem in Gaskammern ermordet und deren Leichen in Krematorien verbrannt wurden. An diese Opfer der Shoah erinnert ein Gedenkstein, den der Überlebende Viktor Marx 1946 auf dem Jüdischen Friedhof aufstellen ließ. Darauf heißt es: „Dies sind die Opfer der Gemeinde Tübingen welche von den Nazi gemordet wurden.” Marx hat 14 Personen benannt: Zuoberst stehen die Namen seiner Frau und Tochter Marga und Ruth Marx, dann Max, Sophie und Ilse Löwenstein, Selma Schäfer, Salomo, Karoline, Martha, Elfriede, Hans und Edwin Spiro sowie Anne Erlanger.
Sanierung des Jüdischen Friedhofs
Der Jüdische Friedhof Wankheim ist im Besitz der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg (IRGW). Die Stätte ist einerseits ein Friedhof, andererseits ein Kulturdenkmal. Auf diesem Friedhof sind zahlreiche Grabdenkmale in sanierungsbedürftigem Zustand, das Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg hat den Sanierungsbedarf ermittelt. Das Land Baden-Württemberg hat sich für die Erhaltung der Jüdischen Friedhöfe mit zuständig erklärt. Zusätzlich unterstützen die von dem Verbandsfriedhof betroffenen Kommunen Gemeinde Kusterdingen, Stadt Tübingen, Stadt Reutlingen und der Landkreis Tübingen das Land im Rahmen ihrer Freiwilligkeitsleistungen.
Landrat Joachim Walter besprach am 1.4.2021 mit der IRGW als Eigentümerin des Friedhofs die Thematik grundlegend. Die IRGW stimmte mit Schreiben vom 14.4.2021 Maßnahmen zur Sanierung von Grabsteinen auf dem Jüdischen Friedhof Wankheim prinzipiell zu. Die IRGW erklärte sich weiterhin dazu bereit, einen Vertrag mit einem Träger zur Durchführung der Sanierungsarbeiten abzuschließen. Der Förderverein für jüdische Kultur in Tübingen e.V. übernahm die Bauträgerschaft für einen Zeitraum von zehn Jahren und übertrug die Projektleitung und -durchführung einer Fachfirma. Am 16.6.2021 lud Landrat Walter den Verein und die interessierten Kommunen zu einer Online-Besprechung ein. Dabei erklärten die Denkmalschutzbehörde des Landes, die Vertretung des Innenministeriums, die Denkmalstiftung Baden-Württemberg, interessierte Kommunen und der Förderverein für Jüdische Kultur Tübingen e.V. ihre Absicht zur anteiligen Finanzierung der Sanierung.
An den Sanierungskosten von insgesamt etwa 300.000 Euro trägt demnach das Land den Hauptteil. Andererseits engagiert sich die kommunale Familie mit 25 Prozent an den Kosten freiwillig mit einem hohen Anteil. Hervorzuheben ist das bürgerschaftliche Engagement des Fördervereins für Jüdische Kultur, der die Bauträgerschaft übernommen hat und weitere Spendenmittel einwerben will.
„Baum fällt” bei der Sanierung
Viele der Bäume auf dem Jüdischen Friedhof Wankheim und um ihn herum sind Eschen. Sie wurden bei der Anlage des Friedhofs vermutlich nicht gezielt gepflanzt, sondern wuchsen seitdem wild. Bei der Sanierung der Grabsteine auf dem Jüdischen Friedhof Wankheim mussten einige von ihnen gefällt werden. Viele Eschen leiden heutzutage unter dem „Eschentriebsterben“, bei dem Stammfuß und Wurzeln faulen. Dadurch fallen sie manchmal ohne Vorwarnung um.
Die Gemeinde Kusterdingen hat die „Verkehrssicherungspflicht“ am Jüdischen Friedhof: Sie muss verhindern, dass umstürzende Bäume Besucherinnen und Besucher gefährden. In ihrem Auftrag kennzeichneten die zuständigen Förster vor allem vorgeschädigte Eschen um das Friedhofsareal, die mittlerweile gefällt worden sind.
Das Fällen der Bäume hatte auch einen positiven Effekt auf die historischen Grabsteine. Wenn die Bäume weniger Schatten werfen und mehr Wind durchlassen, trocknen die Grabsteine nach Niederschlägen schneller ab. Das bremst die Verwitterung der Steine, so dass die derzeitige aufwändige Sanierung dauerhafter bleibt.
Ausgehöhlt und getrocknet
Felix Votteler stand vor der Frage, wie er sein Konzept im Stamm anordnen könnte. Dose und Kugelvase hat er quer zur Wuchsrichtung herausgearbeitet, die große Vase hingegen in Wuchsrichtung. Anschließend brachte er die Eschen-Rohlinge grob mit der Kettensäge in Form. Diese massiven Holzklötze packte er luftdicht ein, damit das Holz nicht reißen konnte.
Die meiste Zeit brauchte der Künstler, um alle drei Objekte an der Drechselbank zu fertigen. Dazu spannte er das Holz an einer Achse ein, die den Rohling in Rotation bringt. Dann setzte er verschiedene Messer, die Drechseleisen genannt werden, an, um die gewünschte Form freihändig herauszuschneiden. Bei der Formung des äußeren Körpers und beim Aushöhlen fallen große Mengen Späne an. Bei der großen Vase fielen von ursprünglich 82 Kilogramm Holzmasse 80 Kilogramm als Späne ab.
Votteler bearbeitete das Holz frisch. Man nennt es auch Grünholz. Das Arbeiten mit Grünholz hat zur Folge, dass das Holz nachträglich trocknen muss. Damit das Holz beim Trocknen nicht reißt, sondern sich verziehen kann, darf es nur wenige Millimeter dünn sein. So lange der Künstler das Holz verarbeitete, packte er es entweder ein oder hielt es feucht. Dann musste er den Trocknungsprozess ständig kontrollieren. Wenn sich das Holz beim Trocknen verzieht, verändert es seine Form. Das muss der Drechsler von Beginn an einkalkulieren, wenn er dem fertigen Objekte eine bestimmte Form geben will.
Zum Schluss hat Votteler die Dose gebürstet, die anderen beiden Arbeiten sind unbehandelt.
Holzobjekte zu Geburt, Leben, Tod
Die drei ausgestellten Arbeiten von Felix Votteler bilden eine Serie. Er hat Holz von einer 153 Jahre alten Esche bearbeitet, die im Zuge der Sanierung des Jüdischen Friedhofs in Wankheim gefällt wurde. Votteler setzt sich in der Serie mit dem Jüdischen Friedhof auseinander. So stehen Friedhöfe einerseits am Ende des Lebens, mit ihnen verbinden viele Trauer und Leid. Gleichzeitig sind sie auch Orte des Erinnerns an das Leben. Votteler hat drei Gefäße aus dem Eschenholz herausgearbeitet. Zusammen bilden sie eine Trilogie als Sinnbild für den Zyklus des Lebens.
Die Dose symbolisiert die Geburt. Ihr raues Äußeres schützt das glatte Innere. Erst wenn der Deckel geöffnet wird, kann sich das Innere zeigen. Als er die Dose drechselte, hat der Künstler Licht zu Hilfe genommen.
Es stellte eine Lampe hinter das Werkstück und spante die Dose so lange aus, bis das Licht durch die Holzwand hindurch schien.
Die große Vase steht für das Leben. Votteler hat sie ebenfalls sehr dünn gearbeitet. Der Rohling, aus dem er sie geschnitten hat, wog ursprünglich 82 Kilogramm. Die fertige Vase ist jetzt 1,8 Kilogramm leicht. Der Künstler möchte mit ihr einerseits die Leichtigkeit zeigen, die das Leben haben kann. Andererseits verweist der zarte Holzkörper auf die Fragilität menschlicher Existenz. Und so, wie das Leben oft viele Facetten zeigt, gibt die Maserung im Holz viel Raum zum Entdecken.
Für den Tod steht die Kugelvase. Wer über den Rand der Öffnung blickt, begegnet etwas Ungewissem. Die ausgehöhlte Kugel hat keinen Anfang und kein Ende, egal wie man sie dreht. Sie ist eine Form der Unendlichkeit.
Mit den filigranen, dünnwandigen Holzobjekten sind Werke von hoher künstlerischer Qualität mit Ortsbezug und erinnerungskultureller Dimension entstanden.