Aus der Geschichte des Landkreises

Fürsten und Steinskulpturen im "Stelenland"

Im Landkreis Tübingen haben Menschen der Bronzezeit und die Kelten der Eisenzeit besonders eindrückliche Spuren hinterlassen. Steinerne Stelen als Bildhauerarbeiten zeigen figürliche Darstellungen von Menschen. Grabhügel und Viereckschanzen sind teils noch in der Landschaft abzulesen. Unter den archäologischen Funden sind fürstlich ausgestattete Bestattungen, sie zeugen von der keltischen Kultur und Kunstfertigkeit.

In der als Eisenzeit eingeordneten Epoche des ersten Jahrtausends vor unserer Zeitrechnung nannten antike Schriftsteller die Bewohner in Südwestdeutschland, deren Verwandte auch in Ostfrankreich und der Nordschweiz siedelten, "Kelten".

Die ausgeprägte soziale Hierarchie der Kelten zeigt sich an der Ausstattung ihrer Gräber. Unter den zahlreichen Beigaben der Grabhügel auf dem „Eichbuckel" in Dußlingen und auf dem „Bühl" in Baisingen fanden Archäologen breite Halsringe aus Goldblech, die als fürstliches Würdesymbol gelten. Reste von vierrädrigen Wagen in zwei Grabhügeln auf der „Waldhäuser Höhe" bei Tübingen lassen sich ebenfalls als Zeichen für den Rang eines Hallstattfürsten deuten.

Äußerlich sichtbar setzten Kelten ihren Toten nicht nur durch markante Hügel ein Andenken, sondern mitunter auch in Gestalt hoch aufragender Grabmale aus Stein, in die sie menschliche Gesichtszüge und geheimnisvolle Ornamente eingravierten.

Archäologen untergliedern deren Kulturepoche in zwei Abschnitte, die Hallstattzeit (750 bis 450 v. Chr.) und die anschließende La-Tène-Zeit (bis 85 n. Chr.).
Hallstatt ist ein Ort in Österreich, an dem man besonders eindrucksvolle Zeugnisse dieser Kulturepoche gefunden hat. Der Fundort La-Tène liegt in der Schweiz.

Beide Perioden hinterließen auch im Tübinger Umland augenfällige Zeugnisse: Die Hallstattzeit rund 300 Grabhügel, die La-Tène-Zeit drei markante Viereckschanzen beim Einsiedel, bei Belsen sowie auf dem Betzenberg bei Dettenhausen.

Teil eines grasbewachsenen Hügels, darauf eine Steinfigur auf einem Sockel, mit Körper und Kopf mit Vertiefungen wie Augen und Mund und Einkerbunden
Rekonstruierter keltischer Grabhügel bei Kilchberg (8.–6. Jh. v. Chr.), mit figürlicher Stele (Stubensandstein 3. Jhtsd. v. Chr., Replik)
Replik einer figürlichen Steinstele, am Rumpf ist ein großes Zackenmuster umlaufend zu erkennen, am Kopf angedeutete Gesichtsmerkmale
Figürliche Stele bei Stockach (Stubensandstein, Replik)

Im Kreis Tübingen ist eine auffällig hohe Anzahl solcher hallstattzeitlicher Stelen ans Licht gekommen: Die älteste ist die aus Gomaringen-Stockach. Nur unwesentlich jünger sind eine aus Rottenburg und zwei Bruchstücke aus Kilchberg (8./7. Jh. v. Chr.). Die Stele auf dem rekonstruierten Grabhügel von Kilchberg ist hingegen deutlich jünger (6. Jh. v. Chr.).

Dank seines ungewöhnlichen Reichtums an Stelenfunden wurde der Kreis Tübingen wiederholt als „Stelenprovinz" bezeichnet. Allerdings bildeten die behauenen Steine während der Eisenzeit kein spezifisches Merkmal dieser Region. Vielmehr erhielten sich die hiesigen Stelen beispielsweise im weichen Schlemmlehm der Neckarauen nur besonders gut.

Anmerkungen:
seit Erscheinen des dem Kapitel zugrundeliegenden Buchbeitrags gibt es einen neuen Forschungsstand der Archäologie zur Datierung: Die Stelen des keltischen Grabhügels in Kilchberg sind älter als bisher angenommen und werden durch Vergleiche mit ähnlichen menschengestaltigen Skulpturen in die ausgehende Jungsteinzeit der 1. Hälfte des 3. Jahrtausends zugeordnet (ca. 2800–2500 v. Chr.).
Der Weilheimer Menhir stammt aus der Frühbronzezeit des beginnenden 2. Jahrtausends (ca. 1800 v. Chr.).

Bei Ausgrabungen in Reusten wurde 2020 eine kleine Goldspirale geborgen, die Grabbeigabe eines frühbronzezeitlichen Frauengrabs ist das bislang älteste Goldartefakt Südwestdeutschlands. 

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