Aus der Geschichte des Landkreises

Orte des Erinnerns an nationalsozialistische Herrschaft und Gewalt

Orte des Erinnerns an nationalsozialistische Herrschaft und Gewalt im Landkreis Tübingen.

Die Zeit des Nationalsozialismus (1933–1945) hat vielfältige Auswirkungen bis in die jüngste Gegenwart. Die beschwerliche gerichtliche Aufarbeitung dieser Zeit ist auch Jahrzehnte nach Kriegsende noch nicht abgeschlossen. Mit ihr ging in unterschiedlichen Phasen auch die Errichtung von Erinnerungszeichen einher, die dem Gedenken an die Opfer ebenso dienen sollen, wie der Mahnung an die Überlebenden und der Vergangenheitsbewältigung.

Im Landkreis Tübingen hat diese Erinnerungskultur einerseits Spuren offengelegt, andererseits selbst Spuren hinterlassen. Dabei gingen vom Umfeld der Universität Tübingen wichtige Impulse aus.

Juden lebten seit Jahrhunderten im deutschen Südwesten. In seinem Testament verfügte Württembergs Graf Eberhard im Bart jedoch, dass nach seinem Tod Juden nicht länger in seinen Territorien bleiben dürften. Deshalb konnten sich von 1496 bis 1806 praktisch keine Juden in Württemberg niederlassen. In Reichsstädten und reichsritterschaftlichen Territorien, die nicht zum Einflussbereich der württembergischen Grafen und Herzöge gehörten, lebten demgegenüber weiterhin Juden. Den meisten von ihnen blieb wegen einschränkender Gesetze nur der Hausierhandel als Erwerbsgrundlage. Im Landkreis Tübingen erlaubten die Freiherren von St. André den Juden, gegen ein Schutzgeld in Wankheim zu siedeln in Baisingen gewährten die Schenken von Stauffenberg „Schutzjuden" das Bleiberecht. In Tübingen erstritt sich der Kleiderhändler Leopold Hirsch aus Wankheim in einem langwierigen Verfahren auf rechtsstaatlichem Weg während der 1850er Jahre als erster seit dem Mittelalter das Bürgerrecht.

Außenansicht Gedenkstätte Synagoge Baisingen, kleineres walmdachgedecktes Gebäude steht in dichter umgebender Bebauung, außen sind Spuren der Verwüstung wie fehlender Putz über der Tür erkennbar
Gedenkstätte Synagoge Baisingen, die Spuren der Verwüstung sind am Gebäude sichtbar erhalten. Die Gedenkstätte ist als Museum geöffnet.
Großer Ringbuchordner mit metallenen Seiten, eine Person blättert darin
Das Gedenkbuch vor dem jüdischen Friedhof in Wankheim wurde 2024 der Öffentlichkeit übergeben.
Anlage mit einem Kubus aus Metall mit regelmäßig angeordneten kleineren Öffnungen und rostiger Oberfläche, eine Stele mit Texten und verbindenden  Steinkuben
Denkmal Synagogenplatz Tübingen

Immer mehr Juden aus den Dörfern suchten die Freiheiten sowie bessere Bildungs- und Erwerbsmöglichkeiten in der Stadt. Deshalb litten die jüdischen Landgemeinden Wankheim und Baisingen seit Mitte des 19. Jahrhunderts unter einem starkem Bevölkerungsschwund, bis die Wankheimer Gemeinde schließlich 1882 zugunsten der neu gegründeten Tübinger Gemeinde aufgelöst wurde. Zu dieser Kultusgemeinde, die vom Rabbinat Mühringen betreut wurde, gehörten auch die jüdischen Bürger Reutlingens, Rottenburgs, Gomaringens und Metzingens. Zwei jüdische Friedhöfe in Kusterdingen-Wankheim und Rottenburg-Baisingen finden sich im Landkreis Tübingen, zwei Synagogen in Baisingen und Tübingen gab es bis 1938.

Im Jahr der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 hatte die Tübinger jüdische Gemeinde 82 Mitglieder, die nur zeitweise anwesenden jüdischen Studierenden sind nicht mitgezählt, ebenso wenig die Personen jüdischer Herkunft, die erst durch die NS-Gesetze wegen ihrer Ahnen zu „Juden" erklärt wurden. An den Pogromen gegen Juden, die Hitler und Goebbels für die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 veranlassten und die früher als „Reichskristallnacht" bezeichnet wurden, beteiligten sich auch Hiesige. Sie schändeten die Synagogen in Tübingen und Baisingen und setzten die erstgenannte in Brand.

Am Standort der Tübinger Synagoge in der Gartenstraße errichtete die „Projektgruppe Synagogenplatz" seit 1998 eine Gedenkstätte. Die Baisinger Synagoge blieb nur deshalb vor Brandstiftung verschont, weil sie den umliegenden Wohn- und Wirtschaftsgebäuden zu nahe stand. Ihr Inneres wurde allerdings weitgehend zerstört, das entweihte Gotteshaus zur Scheune umfunktioniert. Heute befindet sich darin eine eindrucksvolle Gedenkstätte mit einer Ausstellung.

Während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft konnten sich die meisten Angehörigen der Tübinger jüdischen Gemeinde noch rechtzeitig durch Emigration ins Ausland retten. 14 Personen wurden deportiert, von ihnen überlebte nur einer. Auch viele Baisinger Juden wanderten aus, mehr als 60 wurden 1941/42 in die Konzentrationslager deportiert und fast alle dort ermordet. Auch der pensionierte Gomaringer Ortsarzt Dr. Sally Adamsohn kam im KZ Theresienstadt ums Leben. Auch das ausgeklügelte und straff durchorganisierte NS-System von Verfolgung und Vernichtung hat im Landkreis Tübingen Spuren hinterlassen. Als sogenannte „Außenlager" größerer Konzentrationslager zog sich ein engmaschiges Netz der Internierung und Ausbeutung über das Land.

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