Die Strukturen der Agrargesellschaft

Aus der Geschichte des Landkreises

In unserer Region war die Verbindung von industrieller, kleingewerblicher oder handwerklicher Arbeit mit einer kleinen Landwirtschaft bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts häufig. 

Realteilung und Flurbereinigung: Wer über Felder und Wiesen im Landkreis Tübingen spazieren geht – selbstverständlich nach der Ernte – wird oft schon nach wenigen Schritten mit leichtem Schwung über eine Grenzfurche setzen müssen. Seinen holpernden Spaziergang verdankt er der hierzulande seit dem Mittelalter überlieferten Erbsitte der Realteilung: Wie in den meisten altwürttembergischen Gebieten erhielt jedes Kind einen Teil vom bäuerlichen Betrieb des Verstorbenen.

Durch diese Erbsitte wurden die einst großen Bauerngüter zersplittert. In den meisten historischen Ortskernen herrschen dementsprechend die bescheidenen Gebäude ehemaliger Kleinbauern vor.

Mitunter, wie in Mössingen, schufen Familien, die sich ein ererbtes Wohngebäude mit anderen teilen mussten, Platz durch Anbauten. Andernorts in Deutschland ging demgegenüber der Hof samt Ländereien in die Hand nur eines Erben über und blieb somit als landwirtschaftlicher Großbetrieb erhalten.

Die Realteilung in Altwürttemberg hatte eine Reihe weitreichender Folgen: Zunächst führte sie dazu, dass in den Dörfern immer mehr Menschen zusammenlebten. Während sie andernorts, wo ihnen kein Teil am Hof zustand, viel früher abwandern und sich eine neue Existenz aufbauen mussten, blieben ihnen in Württemberg wenigstens ein paar Äckerle. Wer von seinem Erbteil mehr schlecht als recht leben konnte, sah sich nach anderen Verdienstmöglichkeiten um. Vielleicht erlernte er ein Handwerk.

Schließlich traten so viele Menschen eine Lehre an, dass sich immer mehr Handwerker die Aufträge teilen mussten und auch die Einkünfte daraus nur knapp reichten. Immerhin verdankte Württemberg diesem Umstand jedoch eine breite Qualifikation seiner Bevölkerung. Diese wiederum bot so manchem Tüftler die Chance, seine Talente zu entfalten. Als dann im 19. Jahrhundert Unternehmer nach Standorten für ihre Industriebetriebe suchten, kamen sie gerne hierher, weil es viele Arbeitskräfte gab und diese darüber hinaus qualifiziert waren.

Politisch bewirkte die Realteilung, dass viele Württemberger auch während der Weimarer Republik ein wenig Grund und Boden besaßen, mit diesem verwurzelt blieben und auch in Krisenzeiten daraus einen Teil ihrer Grundversorgung bestreiten konnten. Dies wird häufig als Ursache dafür genannt, dass radikalere Parteien in Württemberg weniger Zulauf fanden als reichsweit.

In dieser Hinsicht erscheint das „rote" Steinlachtal vordergründig als Ausnahme. Innerhalb der Sozialdemokratie oder der KPD vertraten die dortigen Handwerker und Arbeiter freilich eher gemäßigte Positionen. Da die Zersplitterung der Bauerngüter deren Rentabilität beeinträchtigte, erließ das Königreich Württemberg bereits Ende des 19. Jahrhunderts ein Gesetz zur Feldbereinigung. Auf dieser oder ähnlicher Grundlage wurde seit 1888 immerhin etwa die Hälfte der landwirtschaftlichen Nutzfläche im Landkreis Tübingen flurbereinigt.

Zwei aneinandergebaute Häuser mit Scheunentoren und Stalltür
Kleinbäuerliche Anwesen in Bieringen, Brechengasse
Bulle mit einem Seil aufgezäumt, darauf reitet ein Mann, im Hintergrund Häuser und ein Auto
Zuchtbulle und Farrenwärter in Kirchentellinsfurt
Luftbild einer Ortschaft, umgeben von in schmale Streifen aufgeteilten Feldern
Die Realteilung ist auch an den schmalen Feldstreifen ablesbar, hier bei Immenhausen. Trotz Flurbereinigung blieben die Acker- und Wiesenflächen in den Gemeinden des Landkreises Tübingen häufig noch verhältnismäßig klein parzelliert.
Luftbild: Wiese mit vielen blühenden Obstbäumen, im Hintergrund Wald
Zur häufig im Nebenerwerb betriebenen Landwirtschaft gehörten Apfel-, Birn-, Kirsch- und Zwetschgenbäume auf den Streuobstwiesen zur Selbstversorgung mit Obst und Obstprodukten wie Most und Schnaps, hier bei Mössingen

Politisch bewirkte die Realteilung, dass viele Württemberger auch während der Weimarer Republik ein wenig Grund und Boden besaßen, mit diesem verwurzelt blieben und auch in Krisenzeiten daraus einen Teil ihrer Grundversorgung bestreiten konnten. Dies wird häufig als Ursache dafür genannt, dass radikalere Parteien in Württemberg weniger Zulauf fanden als reichsweit.

In dieser Hinsicht erscheint das „rote" Steinlachtal vordergründig als Ausnahme. Innerhalb der Sozialdemokratie oder der KPD vertraten die dortigen Handwerker und Arbeiter freilich eher gemäßigte Positionen. Da die Zersplitterung der Bauerngüter deren Rentabilität beeinträchtigte, erließ das Königreich Württemberg bereits Ende des 19. Jahrhunderts ein Gesetz zur Feldbereinigung. Auf dieser oder ähnlicher Grundlage wurde seit 1888 immerhin etwa die Hälfte der landwirtschaftlichen Nutzfläche im Landkreis Tübingen flurbereinigt.

Weitere Informationen